Zerbrochene Spiegel

Es gab in der letzten Zeit immer wieder und immer öfter Momente, da hatte ich das Gefühl, dass meine Fotografie sich immer wieder wiederholt.

Jahr für Jahr habe ich mich bemüht, einen eigenen Stil zu entwickeln, ein Bild, das nur ich so sehe und mache. Ich wollte die Details, die Rillen eines Fingerabdrucks, herausarbeiten, die feinen Nuancen, die eine Person ausmachen. Ein Lächeln, das ein kleines bisschen anders ist als alle anderen, ein Augenblick, der nur in dieser einen Sekunde existiert. Ich wollte diese kleinen, fast unsichtbaren Dinge einfangen, die niemand sonst sieht.

Doch je mehr ich mich mit meiner Arbeit auseinandersetzte, desto mehr merkte ich, dass, wenn man nicht wirklich hinschaut, all diese Details nicht besonders auffallen. Vor allem in der Welt der sozialen Medien, wo so viel schnell und oberflächlich wahrgenommen wird, sind Fingerabdrücke oft kaum voneinander zu unterscheiden. Ein Bild wird in Sekunden durchgesehen, und schnell ist es weg. Man sieht den Fingerabdruck, aber erkennt nicht die Nuancen, die ihn einzigartig machen.

Ich wollte mich von dieser Vergleichbarkeit lösen. Ich wollte etwas schaffen, das nicht nur ein weiteres Foto in der Masse von Bildern ist. Etwas, das sich abhebt, das anders aussieht, das mehr von mir und meiner Sicht auf die Welt zeigt. Ich wollte einen Stil finden, der mehr von meiner eigenen Persönlichkeit, von meinem „Ich“ in sich trägt. Es war klar, dass ich etwas verändern musste, um dieses Ziel zu erreichen. Klingt vertraut, oder?

Dabei fiel mir auf, dass ich für diesen Schritt einen Reset brauchte. Zu viele Gewohnheiten, zu viele Elemente – ob es die Art war, wie ich das Licht einsetzte, oder wie ich mit meinen Modellen arbeitete – mussten sich ändern. Vieles von dem, was ich über die Jahre aufgebaut hatte, fühlte sich plötzlich nicht mehr richtig an. Ich wollte nicht einfach weitermachen wie bisher. Es war, als ob ich all das, was ich bisher gekannt hatte, auseinandernehmen und von Grund auf neu zusammenfügen musste.

In diesem Prozess des Überdenkens und Reflektierens kam mir schließlich ein Gedanke, der mir all die Unklarheit nahm: „Meine Fotografie ist wie ein zerbrochener Spiegel.“Mehr noch: “Ich selbst bin wie ein zerbrochener Spiegel”.

Lange hatte ich nach einem klaren Bild gesucht, nach einer Methode, die mir ermöglichte, den „wahren“ Charakter eines Menschen einzufangen. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass es nicht darum geht, den perfekten Moment zu erwischen, sondern die Fragmente eines Menschen zu sammeln und immer wieder neu zu ordnen. Jedes Mal, wenn ich abdrücke, setze ich diese Teile auf eine neue Weise zusammen, je nach dem, was ich in der Person vor mir sehe. Die Risse, die Kanten, die kleinen Unvollkommenheiten – sie gehören alle dazu. Diese Scherben ergeben zusammen ein Bild, das so individuell ist wie der Moment, in dem ich den Auslöser drücke.

Diese Teile sind nicht immer klar. Einige sind matt und fast unsichtbar, andere sind scharf und präzise. Aber zusammen – in jedem einzelnen Shooting – ergeben sie ein Kaleidoskop, das das Bild der Person widerspiegelt, das ich in diesem Moment sehe. Es ist nicht das Bild, das sie von sich selbst hat, sondern das Bild, das ich in ihr entdecke.

Ich weiß, dass sich nicht jeder, den ich fotografiere, in diesem Bild erkennt. Manche mögen sich verzerrt oder anders sehen, als sie sich selbst wahrnehmen. Das gehört dazu. Es ist der Bruch, der die wahre Essenz offenbart – die Risse und Scherben, die die Person ausmachen. Denn am Ende ist jeder von uns ein zerbrochener Spiegel, unperfekt und oft anders, als wir uns selbst sehen. Es ist dieser Bruch, der uns interessant macht, der uns als Menschen auszeichnet.

Ich habe mich auch gefragt, warum ich mit so viel Hingabe fotografiere, obwohl ich weiß, dass die meisten Menschen meine Arbeit niemals sehen werden. Selbst wenn ich Zehntausende von Followern auf sozialen Medien habe, wird der Großteil meiner Bilder die Aufmerksamkeit von einem X-Fachen an “Nicht-Followern” nicht bekommen. Aber irgendwie spielt das für mich keine Rolle. Der eigentliche Akt des Fotografierens, das Sammeln dieser Fragmente, ist der Weg, auf dem ich die Welt, die Menschen, und auch mich selbst besser verstehe. Durch die Kamera finde ich eine Klarheit, die ich in anderen Aspekten meines Lebens nicht immer habe.

Letztlich wird niemand, den ich fotografiere, jemals wissen, wie ich ihn (oder sie) sehe. Keiner wird verstehen, warum ich diesen Moment eingefangen habe und nicht einen anderen. Aber das ist in Ordnung. Denn auch wenn wir uns selbst sehen, sehen wir nur einen Teil von uns – nie das ganze Bild. Und genauso wenig wird sich das Bild, das ich von ihnen mache, mit dem, das sie von sich haben, je vollständig decken. Das Bild, das sie sehen, ist immer nur ein Teil des Ganzen – der Rest bleibt im zerbrochenen Spiegel verborgen.

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Vom Erzählen über Fotografie